Presseartikel / SZ 11. August 2017 / Von Udo Watter, Ottobrunn

Abgrundtiefes Schaffen

Ruth Eder
Foto: Angelika Bardehle

Die Ottobrunner Autorin Ruth Eder wird 70 - Zeit, um Bilanz zu ziehen und ein neues, autobiografisches Buch zu schreiben.

Manchmal hört sie in ihrem Garten die Glockentöne vom nahen Parkfriedhof herwehen. Das Klang gewordene "Memento mori" weckt in Ruth Eder aber keine düsteren Gefühle oder gar angstbesetzte Vorahnungen. Für die in Ottobrunn lebende Autorin und Journalistin ist der Tod kein Fremder. Sie hat ihre krebskranke Mutter bis zum Ende in ihrem Haus gepflegt und auch andere im Familien- und Freundeskreis abtreten sehen.

Mehr als 20 Bücher hat Ruth Eder geschrieben
"Ich habe bereits mit 45 Jahren ein Buch übers Sterben gemacht", erklärt Eder. Erschienen ist "Ich spür noch immer ihre Hand - Wie Frauen den Tod der Mutter bewältigen" erstmals 1994. Darin berichten fünfzehn erwachsene Töchter über den letzten Abschied von der Mutter. Eder beschäftigt sich zudem ausführlich mit dem Thema Tod und wie sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit im Laufe der Zeiten gewandelt hat. Wenn man dem Bewusstsein der eigenen Begrenztheit und der Endlichkeit von geliebten Menschen offen ins Gesicht sieht, dann kommt man der berühmten Formel "Philosophieren heißt sterben lernen" schon sehr nahe.

Ruth Eder wird diesen Freitag 70 Jahre alt, eine Zahl, die sie mit ihrem statistischen Gewicht vielleicht mehr innehalten lässt als der Klang des Totenglöckleins. "Man zieht schon Bilanz", sagt sie. Freilich - 70 ist im Grunde noch kein Alter - und Ruth Eder, die auch für die SPD im Ottobrunner Gemeinderat sitzt, macht ohnehin nicht den Eindruck, als bräuchte sie Nachhilfe in Lebenslust und Lebenskunst. Auch gesundheitlich gehe es ihr gut. "Ich habe nichts. Ich bin so ein Ross wie mein Vater", erklärt sie lachend.


Der neue Roman der gelernten Journalistin hat autobiografische Züge
Und die gebürtige Stuttgarterin, die seit 36 Jahren in Ottobrunn lebt und mehr als 20 Bücher - Romane, Sachbücher, Erzählungen - geschrieben hat, will weiter kreativ sein, ist voller Energie. Ihr aktuelles Buchprojekt ist eines, das sie sehr bewegt, und das - im Gegensatz zu vielen ihrer anderen Romane wie "Altweibersommer" oder "Älternabend" - ein schweres, ernstes Thema behandelt. Es ist ein Antikriegs-Roman, in dem es um einen US-amerikanischen Kampfhubschrauber-Piloten geht, der nach einem Einsatz in Vietnam an einer posttraumatische Belastungsstörung leidet, was die Zerstörung seiner Ehe mit einer Deutschen und weitere persönliche Katastrophen zur Folge hat.

Der Roman mit dem Arbeitstitel "Abgrund" hat einige autobiografische Züge - Eder war selbst mit einem US-Piloten verheiratet - aber die fiktiven Elemente überwiegen. "Ich trau' mich inzwischen viel mehr, Dinge zu erfinden," sagt die aus dem Journalismus kommende Schriftstellerin. "Und manchmal habe ich dann einen richtigen Schreib-Flow. Und genau das wird immer gut."

Dass Eder, die von der 68er-Bewegung geprägt ist und das Flower-Power-Motto "Make Love not War" durchaus verinnerlicht hat, hier auch von gesellschaftskritischen, ideellen Impulsen getrieben wird, ist offensichtlich. "Die augenblickliche weltpolitische Lage ist nicht sehr beruhigend", sagt sie. "Manchmal habe ich das Gefühl, das ist wie diese Schlafwandler-Situation vor dem Ersten Weltkrieg." Unabhängig davon geht es ihr vor allem darum, die apokalyptische Dimension von Krieg darzustellen. So verknüpft sie in einer historischen Überblendung auch die Geschichte des Kampfhubschrauber-Piloten - dessen Gattung sich als moderne Kavallerie sieht - mit den Erlebnissen eines österreichisch-ungarischen Reiteroffiziers im Ersten Weltkrieg.

Letzteres ist wiederum familiengeschichtlich inspiriert, Eders rumäniendeutsche Vorfahren lebten über Generationen im k.u.k-Reich. "Es heißt, dass 90 Prozent von denen, die in Amerika auf der Straße leben, Kriegsveteranen sind. Die alten waren in Vietnam, die jüngeren in Irak." Der politische Überbau des Themas ist natürlich zeitlos und nicht auf die USA beschränkt, auch unter Bundeswehrsoldaten, die etwa im Kosovo, Afghanistan oder Mali eingesetzt wurden, ist die posttraumatische Belastungsstörung keine Seltenheit.


In jungen Jahren arbeitete Eder als Regieassistentin und Schauspielerin
Eder hat sich beim Schreiben des Buches Zeit gelassen, hat diesmal kein Abgabetermin mit dem Verlag ausgemacht, weil ihr das Werk "zu wichtig" ist. "Man wählt im Alter stärker aus, was zählt", sagt sie. Die Rohfassung des Romans ist fertig, jetzt gilt es noch, historische Fakten zu überprüfen, die gelernte Journalistin Eder ist in dieser Hinsicht gewissenhaft.

Zurückblickend sagt sie auch, das sie sich im Gegensatz zum neuen Roman einige Bücher im Laufe ihrer Schreibkarriere hätte sparen können. Wenn sie in ihren alten Tagebüchern nachliest, dann sieht sie sich selber schon auch mit der kritisch-souveränen Gelassenheit einer reiferen Frau. "In meinen Zwanzigern war ich schon manchmal eine eitle, aufgeblasene Kuh." Man tut Ruth Eder wohl nicht unrecht, wenn man ihr weiterhin eine gewisse, gesunde Eitelkeit attestiert. Die 70-Jährige, die in jungen Jahren auch als Schauspielerin und Regieassistentin gearbeitet hat, legt Wert auf ihr Aussehen und sie weiß sich gut zu verkaufen. Aber bei Eder, die überdies seit vielem Jahren das Talkformat "Ottobrunner Kulturstammtisch" im Wolf-Ferrari-Haus moderiert, steckt immer auch Herz und Humor drin.

Gerade auch die innige Beziehung zu ihrer Tochter Martyna hat sie zu diversen humorvollen Generationskonflikt-Büchern inspiriert, aber auch zum Sachbuch 2010 "Mütter und Töchter - Frauen erzählen von einer ganz besonderen Beziehung", das sie zusammen mit der Fotografin Edith von Welser-Ude herausgegeben hat. Ihren Geburtstag verbringt sie bei ihrer Tochter in Berlin, die inzwischen eine arrivierte Yoga-Lehrerin ist. Man darf davon ausgehen, dass ordentlich gefeiert wird - Geburtstag und das Leben.

Text: Udo Watter / Foto: Angelika Bardehle
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/